Sina Nossa

Ächzende Schiffsplanken, das Atmen des Windes. Bald werden diese Geräusche zu einem musikalischen Tosen anschwellen, bis dieses Crescendo auf seinem Höhepunkt zerbricht und schließlich Schiffbruch erleidet - „Naufragio" heißt diese Komposition von Ivo Guedes, die er mit der Gruppe „Sina Nossa" so wunderbar umgesetzt hat. In der Seeresidenz Alte Post durften knapp 200 Besucher am Donnerstagabend miterleben, wie der Kontrabass von Andre de Cayres die knarzenden Schiffsplanken simulierte und Akkordeon-Spieler Adélio Lopes den dazugehörigen Windhauch entfachte, indem er aus seinem Instrument ohne Tastendruck die Luft komprimierte und wieder entweichen ließ. Und draußen prasselte wie bestellt der Regen. Es war die stilistische Vielfalt, der Einfallsreichtum von „Sina Nossa" (zu deutsch: „unsere Bestimmung"), der an ihrem bislang einzigen Konzertabend in Bayern immer wieder überraschte: Die erst seit drei Jahren bestehende, siebenköpfige Gruppe kommt aus Nordrhein-Westfalen und setzt sich durchweg aus Musikern mit portugiesischen Wurzeln zusammen. „Sina Nossa" pflegen die Liebe zu ihrer Heimat dadurch, dass sie gemeinsam Lieder von der Schönheit ihrer Städte und dem legendären Temperament der dort lebenden Fischverkäuferinnen singen, die natürlich alle Maria heißen.
Angekündigt unter der Überschrift „Fado", bietet „Sina Nossa" indes weit mehr als die folkloristische Variante der „Saudade", der portugiesischen Form des Weltschmerzes, die vor allem mit der großen Amália Rodrigues verbunden ist: „Wir wollen unsere eigene Version entwickeln - die Portugiesen sind sich ja selbst nicht mal einig, was genau unter Fado zu verstehen ist", sagt Pianist und Band-Sprecher Armindo Ribeiro.
Zwischen jener eher traditionalistischen Fado-Variante, wie sie der Tourist in Lissabon oder Coimbra zu vorgerückter Stunde manchmal serviert bekommt, und den mehr oder weniger modernen Weiterentwicklungen, für die Sängerinnen wie Misia oder gar Madredeus stehen könnten, hat „Sina Nossa" gewissermaßen seine eigene Bestimmung, seinen eigenen Weg gefunden - mit Tango-, Blues- und sogar Country-Elementen, ausgelassenen Tanzliedern, gesungenen Spiegelungen von tiefem Schmerz und überbordender Lebensfreude. Die noch recht junge, doch ebenso reif wirkende Sängerin Anabela Ribeiro erzählt, sie habe eines Tages beim Hören des berühmten „Lagrima" (Träne) gewusst: „Ich singe Fado!"
Unter diesem etwas unscharfen Oberbegriff sind heutzutage aber auch Lieder für Männer versammelt, wie das über den „Wahnsinn", das Jorgen Rodrigues vorträgt. Dieses Werben für im Grunde alle Formen lusitanischer Musik wäre bei „Sina Nossa" undenkbar ohne die Instrumentalvirtuosen André Krengel (Gitarre), Ivo Guedes (portugiesische Gitarre, eine Art runde Zither) und den erwähnten Akkordeonist Adélio Lopes: Der scheint regelrecht zu träumen, wenn er auf der Bühne sitzt. Vielleicht von einer Reise mit dem Segelschiff, an der galizischen Küste entlang nach Lisboa. Und manchmal lässt er dann den Wind durch sein Instrument pfeifen.
- Münchener Merkur, 19.08.2008